Wie "modern" muß Melktechnik sein?

Trotz großer Verunsicherung stehen auch in dieser, für alle Landwirte sehr schwierigen Zeit viele Milchviehbetriebe vor der Frage, wie sie ihre Melktechnik verändern, um neuen Anforderungen gerecht zu werden. Laufställe, größere Herden und steigende Milchleistungen erfordern leistungsfähigere Melkstände. Man will und muß Zeit sparen, weil die oft der begrenzende Faktor ist. Schlecht beraten ist jedoch, wer die Zeit um jeden Preis sparen will, viel Geld ausgibt und die Bedürfnisse der Kühe zu wenig berücksichtigt. Als Melkberaterin treffe ich oft auf Betriebe, die ihre Melktechnik zu "modern" ausgerichtet haben. Doppelt tragisch ist dabei, daß sie weder Kosten noch Mühe gespart haben, um sich und ihren Kühe das Beste zu bieten.

Doch was ist eigentlich das "Beste" für unsere Kühe? Wollen sie wirklich in Melkständen so fixiert stehen, daß sie weder vor noch zurück können. Und sind die Euter dazu geeignet, daß man aus ihnen durch möglichst hohes stabiles Melkvakuum die Milch "entzieht"? All jene, denen das egal ist, solange ihr Milchgeld noch stimmt, brauchen jetzt eigentlich nicht weiter zu lesen. Doch auch ein normaler Milchzellgehalt um 150 000 Z/ml sollte kein Ruhekissen sein, wenn andere Anzeichen Mängel in der Melktechnik vermuten lassen. Qualitätskriterien für das Melken sind neben Keim- und Zellgehalt der Milch und der Melkgeschwindigkeit auch Ausmelkgrad und Zitzenbeschaffenheit. Aber gerade beim Ausmelkgrad gibt es Beurteilungsunterschiede. Denn nicht immer sind die Euter leer, wenn keine Milch mehr fließt. Entscheidend ist der Entleerungsgrad der oberen Drüsenbereiche des Euters. Ist dieser nicht locker oder sogar faltig sonder fest oder prall, bleibt hier nicht nur die fettreichste Milch zurück, sondern auch evtl. eingedrungene Krankheitserreger. Je schlechter und unregelmäßiger Drüsenbereiche entleert werden, desto besser können sich Krankheitserreger vermehren und desto schlechter sind die Heilungschancen von während der Laktation behandelten Euterentzündungen.

Voraussetzung für einen guten Ausmelkgrad ist eine lockere, entspannte Eutermuskulatur. Deshalb ist vor und während des Melkens alles zu vermeiden, was zur Ausschüttung von Stresshormonen führen könnte. Ruhe und ein besonnener Umgang mit Tieren ist die am leichtesten zu erfüllende Anforderung an ein gutes Melken, wird aber nicht selten unterschätzt. Kühe die von elektrischen Kuhtreibern getrieben werden, in zu engen Melkständen stehen oder sogar zusammengepresst werden, sind mit Sicherheit nicht entspannt. Gleiches gilt für Kühe, deren Zitzen viel zu aggressiver oder unangepasster Melktechnik ausgesetzt sind.

Hohes Melkvakuum, harte Zitzengummis, zu lange Saugphasen sind z.B. Faktoren, durch welche das Melken für die Kühe unangenehm oder sogar schmerzhaft wird. Wenn Zitzen nach dem Melken rot bis blau oder aber auch weiß und kalt sind, stimmen die zitzenendigen Vakuumverhältnisse nicht. Im Saugtakt wird der Schließmuskel vom Vakuum geöffnet. Leider sammelt sich im unter Vakuum stehenden Zitzengewebe auch Blut und Gewebsflüssigkeit. Schon nach wenigen Sekunden würde der Blutstau schmerzhaft werden und die Kuh würde versuchen sich vom Melkzeug zu befreien. Nur aus diesem Grund muß sich der Zitzengummi falten und die angestauten Flüssigkeiten wieder aus der Zitze massieren. Stimmt das Verhältnis zwischen Saugen und Massieren nicht, gibt es Probleme. Genauso schlimm wie ein unzureichender oder zu kurzer Massagedruck, ist eine zu starke Belastung der Zitzen. Diese entsteht, wenn der Differenzdruck zwischen zitzenendigem Vakuum und dem Umgebungsdruck im Melkbecherzwischenraum zu hoch ist. Das heißt, wenn das Melkvakuum unter den Zitzen auch im Entlastungstakt über 40 kPa hoch ist, werden die Zitzen mit diesem hohen Differenzdruck belastet. Harte Zitzengummischäfte verstärken die Keilkräfte, die vor allem auf die Zitzenspitzen wirken. Die Folgen solcher Vakuumbedingungen sind geschädigte Infektionsbarrieren des Strichkanals, Anlagerung von Bindegewebe und Verhärtungen in den Zitzenspitzen oder Ausstülpungen und Verletzungen im Bereich des Schließmuskels. Durch so geschädigte Zitzen können mehr in der Umwelt der Tiere vorhandene Erreger ins Euter eindringen. Verhärtete Zitzenspitzen lassen sich schlechter aufdehnen, die Kühe werden schwermelkiger. Geschädigte Schließmuskel können bei Hochleistungstieren die Zitzen nur unzureichend verschließen. In Liegeboxen sind dann gehäuft Milchlachen zu finden.

Oben beschriebene Melkbedingungen finden sich leider viel zu oft in modernsten Melkanlagen. Die Milch fließt durch sehr große Sammelstücke und Milchschläuche abwärts in Milchleitungen, in denen sie ohne Stauung abfließen kann. Das eingestellte Anlagenvakuum liegt so nahezu permanent an den Zitzen an. Hinzu kommt, daß aufgrund zu leichter Melkzeuge oder zu großer Zitzengummis die Melkbecher zu früh klettern. Oft wird auch zu wenig stimuliert oder die Melkbecher werden an nasse schlaffe Zitzen angesetzt. Es kommt zu Haftproblemen oder frühzeitigem Hochrutschen der Zitzengummis. Durch schlecht positionierte Melkzeuge werden vor allem die hinteren Melkbecher regelrecht nach oben geschoben. Erreicht ein Zitzengummi zu früh den Bereich der Zitzenbasis, kommt es hier zu Abschnürung von Blut und Lymphgefäßen und daraufhin zum Anschwellen des Fürstenbergschen Venenrings. Der Milchfluß wird langsam immer schwächer, bis er ganz versiegt. Es muß nachgemolken werden. All das verlängert die Melkzeit an sich und es wird länger bei geringerem Milchfluß gemolken, wodurch die Zitzen noch länger belastet und geschädigt werden.

Wer aus diesem Teufelskreis heraus will, muß die Idee vom stabilen Melkvakuum an den Zitzen aufgeben. Sammelstücke um 200 ml sind mit 10 mm Einlauf- und 16 mm Auslaufstutzen und entsprechenden Milchschläuchen auch für höchste Milchflüsse geeignet. Größere Sammelstücke sind unnötig und unter ungünstigen Umständen sogar gefährlich. Gleiches gilt für steil abfallende sehr kurze Milchschläuche wie z.B. beim Melken von hinten. Lassen Sie den Milchschlauch mindestens 20 cm ansteigen. So bilden sich beim Milchabtransport Pfropfen. Dadurch ist das zitzenendige Vakuum im Entlastungstakt etwas reduziert und der Druck des Zitzengummis auf die Zitzen nicht ganz so hoch. Noch bessere Vakuumbedingungen entstehen in Gleichtaktsystemen, bei denen sich 4 Zitzengummis gleichzeitig falten, so das Volumen unter den Zitzen verringern und somit das Vakuum an den Zitzen deutlicher reduzieren. Nicht zu verwechseln sind diese zyklischen Vakuumschwankungnen mit Vakuumverlusten, die vor allem im Saugtakt die Melkkraft reduzieren. Sie entstehen durch zu enge Schläuche, veraltete Milchflußindikatoren oder Milchmessgeräten, zu kleine Schlauchanschlüsse oder auch nur durch einen falsche Schlauchführung. Solche "Milchflußbremsen" werden mit steigenden Milchleistungen immer problematischer und sollten bei Problemen nicht länger toleriert werden.

Fazit:

Melksysteme sind also nur so gut, wie es mit ihnen gelingt, Euter in kurzer Zeit möglich vollständig zu entleeren ohne dabei die Zitzen zu schädigen. Da man die Milch aus den Milchbildungszellen nicht absaugen kann, muß die Melkbereitschaft der Kühe bis zum Melkende erhalten werden. Bei geschädigten Zitzen sind Euterprobleme vor allem bei weniger optimalen Haltungsbedingungen nicht lange zu vermeiden.